Ein Interview mit Andreas Heither, das die Bedeutung von Barrierefreiheit hervorhebt | KSL.NRW Direkt zum Inhalt

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Ein Foto von Andreas Heither und Wibke Roth vor bunten Kacheln der KSL/Darauf steht Fensterblick NRW

Fensterblick NRW

„Barrierefreiheit kann allen Menschen das Leben erleichtern und zur Lebensqualität beitragen! “

von Andreas Heither und Ko-KSL / Interview / KSL inspiriert

Mensch hebt Finger in einem Warndreieck

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Ergänzend zu diesem Interview, das die Tätigkeit von Andreas Heither vorstellt, fügen wir den Mittschnitt aus dem Interview zum Leseangebot hinzu. Unser Ziel ist es, weiter Barrieren abzubauen und mit den Stimmen auch etwas über die Persönlichkeit der Sprechenden zu vermitteln. Beim Klick aufs Bild rechts: Viel Spaß beim Hören!

Die Unterhaltung von Andreas Heither und Wibke Roth (v.r.) haben wir aufgezeichnet.

Andreas Heither arbeitet seit November 2023 im Team der Koordinierungsstelle der KSL.NRW. Er verantwortet hier das Veranstaltungs- und Socialmedia-Management. Andreas ist Experte in barrierefreier Kommunikation, denn er hat das gleichnamige Studium absolviert und arbeitet gerade an seiner Master-Thesis. Er möchte, dass Barrierefreiheit leichter gelebt wird.

Wibke Roth: Du bist unser Experte für barrierefreie Kommunikation und gerade noch dabei, deine Masterarbeit zu finalisieren. Wie kamst du dazu, barrierefreie Kommunikation zu studieren?

Andreas Heither: Nach meinem Bachelor in Heilpädagogik habe ich in einer Wohngemeinschaft gearbeitet und dort den Start der Corona-Pandemie erlebt. In der ersten Zeit gab es jeden Tag neue Informationen, die Nachrichten waren schwer und es gab keine barrierefreien Angebote. Die Personen, die ich damals begleiten durfte, wollten natürlich alles über das Coronavirus wissen, sie wollten die Regeln verstehen und mitdiskutieren. Nachrichten und Informationen in Leichter Sprache hätten da viel geholfen. Wir als pädagogisches Team waren selbst überfodert und konnten einige Dinge, von denen wir auch gerade erst neu gehört hatten, nicht immer zufriedenstellend erklären. Für eine Zeit lang haben wir dann mit einem schlechten Bauchgefühl angeboten, zusammen die Nachrichten auf dem Kinderkanal (KiKa) zu schauen. Es war die einzige, uns verfügbare Plattform mit verständlichen, aktuellen Nachrichten. Diese Nachrichten mit erwachsenen Menschen zu schauen, war traurig, aber bittere Realität. Es hat einfach ganz, ganz viel gefehlt, um Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten gut über die aktuelle Lage zu informieren. In der Zeit habe ich dann von dem Master „Barrierefreie Kommunikation" erfahren und die erlebten Erfahrungen der mangelnden barrierefreien Kommunikation haben mich unter anderem dazu bewegt, das Studium anzugehen.

Wibke Roth: Du beschäftigst dich gerade in der Masterthesis mit dem Einsatz von Leichter Sprache in Einrichtungen der Eingliederungshilfe. Magst du das noch einmal ausführen?

Andreas Heither: Genau! Ich habe mich während des Studiums gefragt, wie Texte in Leichter Sprache Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten begegnen, denn die Texte nutzen ja erst etwas, wenn sie für die Personen auffindbar sind. Und da kommen ganz häufig in der heutigen Zeit Mitarbeitende in Einrichtungen ins Spiel. Wenn diese keine Texte zur Verfügung stellen und selber Leichte Sprache als nicht wichtig empfinden, finden die Texte nicht ihre Zielgruppe. In der aktuellen Praxis haben Mitarbeitende in Einrichtungen häufig eine Art „Gatekeeper-Funktion“ für allerlei Informationen von „außen". Daher fand ich es wichtig zu fragen, inwieweit Texte in Leichter Sprache in der Praxis von Pädagog*innen eingesetzt werden und wie deren allgemeine Haltung zur Leichten Sprache ist.


Wibke Roth: Barrierefreie Kommunikation ist auch ein Schwerpunktthema der KSL.NRW. Wir haben dazu zusammen mit der Agentur Barrierefrei NRW vergangenes Jahr die KSL-Konkret #6, den Wegweiser Barrierefrei herausgebraucht. Dazu haben wir unter anderem in Pressestellen innerhalb Nordrhein-Westfalens Workshops gegeben. Viele Teilnehmer*innen wollen barriereärmer kommunizieren, um mehr Zielgruppen zu erreichen. Natürlich gibt es auch Gesetzesvorgaben, die Informationsvermittlung und -weitergabe verpflichtend machen. Ein Credo von uns war jedoch, den heterogen informierten Teilnehmer*innen Angst zu nehmen und Lust zu machen, den ersten Schritt zu gehen, statt sich von dem riesigen und sehr komplexen Begriff lähmen zu lassen. Wir nutzen mittlerweile oft den Begriff „barrierearm“. Ist Barrierefreiheit eine Utopie?  

Andreas Heither: Das ist eine schwierige Frage. Utopie hat für mich einen anderen, positiven Begriffsrahmen. Ou Tòpos kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet: Nicht-Ort. Eine Utopie ist damit erstmal nichts Negatives. Es ist ein Ort, der heute noch nicht existiert, zu dem man aber hinblicken kann und der in einigen Köpfen bereits ausgemalt ist. Zu diesem Ort gilt es jetzt aufzubrechen und viele andere zu begeistern, sich auch auf den Weg zu machen.
Außerdem war es vor einiger Zeit doch noch so, dass es zum Beispiel Utopien gab, die heute schon längst Realität sind. Zum Beispiel war es früher undenkbar, ein ganzes Büro in einem Rucksack transportieren zu können. Heute ist das ganz normal. Viele Menschen können mit einem Handy und einem Laptop ihren Job erledigen. Und vielleicht ist das irgendwann mit der Barrierefreiheit ähnlich, das sie zur Realität wird. Und viele machen sich ja gerade auf den Weg. Vor allem im Bereich der digitalen und technischen Entwicklung liegt viel Potenzial.

Wibke Roth: Den Vergleich kann ich mir gut bildlich vorstellen. Dazu fällt mir ein, dass man durch das generell schnelle Fortschreiten der technischen Möglichkeiten oft erlebt, dass heute schon Realität ist, was man sich gestern noch nicht vorstellen konnte. Künstliche Intelligenz, kurz KI, wird zukünftig auch bei Leichte-Sprache-Übersetzungen eine bedeutendere Rolle spielen. Wir finden, dass KI grundsätzlich sinnvoll ist, wenn wesentliche redaktionelle Strukturierungen eines Textes im Vorfeld geleistet wurden. Wie siehst du das aktuell?

Andreas Heither: Das Thema KI war auch im Studium ein Thema, aber auch weil das jetzt ganz neu ist und viele begeistert. Der Gedanke, dass viele Dinge bald automatisiert geschehen, zwingt zum Überdenken der eigenen Arbeit und der eigenen Fähigkeiten. Man merkt, dass da ganz viele skeptisch sind, sich aber auch auf den Weg machen und ausprobieren, was da so gerade passiert. Es gibt in Bezug auf Leichte Sprache jetzt die ersten Unternehmen, die anfangen, Übersetzungen in Leiche Sprache KI-basiert anzubieten. Die große Frage wird sein, inwieweit diese Systeme wirklich den Menschen ersetzen können, oder, ob sie einfach eine Art Hilfe bei der Übersetzungstätigkeit darstellen. Eine Kontrolle und Überarbeitung der Texte sollte nach meiner Meinung nach aber immer noch durch Menschen erfolgen, die kritisch und inhaltlich die Texte prüfen. Ich denke und hoffe, dass KI dazu führt, dass die Personen, die aktuell schon Texte in Leichter Sprache erstellen, dies wesentlich effizienter und schneller machen können und so bald mehr Texte in Leichter Sprache existieren.


Wibke Roth: Und was glaubst du, welche Chancen sich für Menschen in unserer Gesellschaft ergeben, wenn sie sich für Barrierefreiheit öffnen?

Andreas Heither: Ich finde es wichtig zu erwähnen, dass Barrierefreiheit auch immer vielen anderen Personengruppen helfen kann: Das ganz klassische Beispiel ist der Aufzug. Er hilft nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern auch älteren Menschen, schwangeren Frauen, Menschen mit Kinderwagen, im Grunde auch allen, die etwas Schweres in eine andere Etage befördern müssen. Leichte Sprache ist nicht nur für Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten. Sie kann auch Personen mit Deutsch als Zweitsprache und anderen kulturellen Hintergründen helfen, erste grundlegende Informationen zu bekommen. Es gibt auch Erfahrungen, dass Leichte Sprache von älteren Menschen mit demenziellen Erkrankungen positiv angenommen wird. Und auch technische Hilfen und Erfindungen wie Untertitel, Sprachsteuerungen und -ausgaben sind etwas, von dem alle Menschen profitieren können. Barrierefreiheit kann allen Menschen das Leben erleichtern und zur Lebensqualität beitragen!


Details zur Masterarbeit

Titel:

Der Umgang mit Leichte-Sprache-Texten im pädagogischen Kontext.

Eine quantitative Studie zur Verwendung von Leichter Sprache in helfenden Berufen.

Forschungsfragen:

  • Wie stehen in der Praxis arbeitende Pädagog*innen zur Leichten Sprache?
  • Wie sensibilisiert sind Pädagog*innen in Bezug auf barrierefreie Kommunikation?
  • Wie schätzen Sie ihre eigene Expertise ein?


Januar 2024