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Ein Kommentar, der verdeutlicht, dass Sexualbegleiter*innen Empowerment für Menschen mit Behinderungen sein können

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Blog-Autor Oliver Schneider vom KSL.Münster im Fensterblick als Porträtfoto eingerahmt in den Kacheln der KSL

Fensterblick Münster

„Die Sexualbegleitung hilft, die eigene Behinderung anzunehmen, ohne sie permanent in den Vordergrund zu stellen.“

von Oliver Schneider / Kommentar / KSL inspiriert

Als Mensch mit einer angeborenen Behinderung* habe ich in meinem Leben viele persönliche Erfahrungen im Umgang mit meiner eigenen Behinderung gesammelt. Insbesondere als junger Mensch erlebte ich intensive Gefühle der Scham, der Unsicherheit und Angst davor, so angenommen zu werden, wie ich bin. Als meine Freunde ihre Sexualität für sich entdeckten, hatte ich noch nicht die Kraft, mich dem zu stellen und eigene Erfahrungen zu sammeln. Gerade in dieser Phase meines Lebens hätte ich einen Menschen gebraucht, die oder der mich dabei unterstützt hätte, meine Sexualität entwickeln zu können.
*Anm. der Redaktion: Oliver Schneider fehlen seit seiner Geburt vier Finger an der linken Hand.

Berufsbild Sexualbegleiter*innen: weiterhin unbekannt?

Diese Menschen gibt es! Sie nennen sich Sexualbegleiter*innen und sie helfen Menschen mit Behinderungen bei ihrer reflektierten Persönlichkeitsentwicklung, durch Stärkung der erotischen und sexuellen Kompetenzen sowie Empowerment.

In Deutschland wird das Thema Sexualität von Menschen mit Behinderungen in meinen Augen immer noch sehr stark tabuisiert. Das führt dazu, dass viele Menschen mit Behinderungen noch gar kein Gefühl für Sexualität entwickeln konnten oder bereits resigniert aufgegeben haben. Andere gehen aus purer Not heraus zu Prostituierten und machen gegebenenfalls schlechte Erfahrungen. Sexuelle Emanzipation sieht für mich anders aus.

Unterschiede zwischen Sexualbegleitung und Prostitution

Sexualbegleitung stellt eine echte Alternative zur Prostitution dar und sie ist viel mehr als nur Sex. Sexualbegleitung schafft Nähe und Akzeptanz und entwickelt Mut und Lust, eigene erotische Erfahrungen zu erleben. Ja, gesetzlich gesehen fällt Sexualbegleitung weiterhin unter Prostitution, da eine Person gegen Geld Zeit mit einem Menschen mit Behinderung verbringt und sexuelle Wünsche erfüllt. Im Mittelpunkt steht aber nicht die sexuelle Handlung, sondern die gemeinsam verbrachte Zeit. Sexualbegleiter*innen schaffen einen Raum zum Entdecken der eigenen Bedürfnisse. Der Mensch mit Behinderung hat Zeit, um sich wohlzufühlen, sich selbst mit der eigenen Behinderung anzunehmen und das Selbstbewusstsein zu stärken.

Es gibt keinen Leistungskatalog, bei dem nach Modulen bezahlt wird. Und es steht nicht der Profit von Zuhältern im Vordergrund. Grundsätzlich werden sexuelle Handlungen nicht kategorisch ausgeschlossen. Es gibt aber keine Verpflichtung, jeden Wunsch zu erfüllen, so dass die Sexualbegleitung immer entscheidet, welche Erfahrungen gemeinsam erlebt werden. Alle Bereiche der Sexualität können entdeckt und erfahren werden. Zum Angebot gehören beispielsweise das Ausleben von Fetischen, besondere Liebespraktiken, gemeinsame Bäder, Massagen, Kuscheln und Liebescoaching. Frauen mit Behinderungen werden unterstützt, ihren Körper kennenzulernen und mit ihm auf besondere Weise umgehen zu können. Behinderte Paare können Hilfen im Sexualleben erlernen.

Ich würde Sexualbegleitung als eine Art „Erlebnisraum“ betrachten. Der Mensch mit Behinderung erlebt gemeinsam mit der Sexualbegleitung ganz unterschiedliche erotische Momente. Es ist möglich, sich auszuprobieren, Zärtlichkeiten auszutauschen und sich zu spüren, Nähe und Nacktheit zu erfahren und ganz selbstverständlich sexuelle Erfahrungen zu sammeln. Für viele Menschen mit Behinderung entsteht daraus die erste positive Erfahrung mit dem eigenen Körper, der sonst als defizitär wahrgenommen wird.

Fazit:

Unsere Gesellschaft vermittelt die Idee einer körperlichen Perfektion. Werbebotschaften verstärken diesen Eindruck umso mehr. Dieses Bild belastet im besonderen Menschen mit Behinderung. Die Sexualbegleitung hilft, die eigene Behinderung anzunehmen, ohne sie permanent in den Vordergrund zu stellen. Sexualbegleiter*innen stellen im Kontakt zum Menschen mit Behinderung den Menschen in den Mittelpunkt und unterstützen dabei, Sexualität als individuelle erotische Erfahrung zu erleben. In einer modernen und toleranten Gesellschaft hoffe ich auf ein Umdenken zum Thema „Sexualbegleitung“. In ihr steckt nichts Anrüchiges oder Unmoralisches. Menschen mit Behinderungen haben ebenso wie Menschen ohne Behinderungen den Wunsch nach Nähe und Sexualität und ein Recht darauf, ihre persönlichen Erfahrungen zu erleben. Für mich schließt eine selbstbestimmte Lebensführung die eigenen sexuellen Erfahrungen zweifellos mit ein.


 

Weitere Informationen

Wie sieht es aus in Deutschland? Welche Richtlinien gibt es zum Beispiel für qualifizierte Sexualbegleiter*innen? Zum Beispiel heißt es in einem recht aktuellen Beitrag von BR 24 „...auf der Website der Sexualbegleiterin Deva Bhusha können sich Sexualbegleiter und -begleiterinnen listen lassen: Rund 40 Personen in ganz Deutschland sind dort zu finden. Allerdings nur zwei in ganz Oberbayern. Ein männlicher Sexualbegleiter und die Protagonistin des Beitrags Deva Bhusha selbst.

Auch die Fortbildungsangebote auf dem Gebiet sind rar – nur zwei gibt es demnach in ganz Deutschland. Das erste vom „Institut zur Selbst-Bestimmung Behinderter" in Niedersachsen. Dieses hat in den vergangenen Jahren rund 80 Personen ausgebildet. Und das zweite vom Nürnberger Verein Kassandra, einer Beratungsstelle für Prostituierte.

Linkempfehlungen:

Das macht ein Sexualbegleiter (ÄrzteZeitung)

Recherche:

Der Autor hat für seine Recherchen diese Quellen verwendet:

http://www.isbbtrebel.de/

Die Berührbaren (aktion-mensch.de)

Sexualassistenz und Sexualbegleitung (enableme.de)

Sexualbegleitung (wato.de)

Sex und Intimität für alle (ZDF/37 Grad)

Sexualbegleitung: Mehr als nur eine Dienstleistung (br.de)

Das macht ein Sexualbegleiter (aerztezeitung.de)

 


Oktober 2022